Ein früherer langjähriger Kollege, dessen Entlassung von der Telekom aus gleichen Gründen bereits im Verlauf des Jahres 1991 erfolgt war, gab mir den Hinweis, dass ein in Saarbrücken beheimatetes Planungsbüro für Hoch- und Tiefbauprojekte bemüht war, sich im Tross der sogenannten "Turnkey-Firmen" ein zusätzliches Standbein aufzubauen, welches in der Ausführung von Vermessungs- und Dokumentationsaufgaben bestand, die für die neu zu errichtenden Kabelanlagen der Deutschen Telekom notwendig waren. Es bedurfte lediglich eines Gespräches und dann kam es im März 1992 zu einem Treffen mit dem Juniorchef der "TECOMPLAN GmbH" in einer Weimarer Gaststätte. Im Gespräch wurde erkennbar, dass diese Firma zuvor keinerlei Befassung mit Kabel- und Kabelkanalanlagen hatte und sich dennoch zutraute, die Aufgaben hier in guter Qualität zu erfüllen. Mir wurde angeboten, im Sommer eine Tätigkeit als Messhelfer im Büro Merkers (bei Bad Salzungen) anzutreten. Zugleich wurde mir auf Grund meiner früher ausgeübten Tätigkeit zugesichert, dass ich bei entsprechender Eignung schnellmöglichst die Funktion eines Arbeitsgruppenleiters übernehmen könnte.
Wohlwollend bemerkte ich in der neuen Tätigkeit, dass hier nicht nach den zwischenzeitlich üblich gewordenen politisch motivierten Bewertungen, sondern allein nach Auftreten und Leistung entschieden wurde. Im Vordergrund stand nicht die Frage, ob ich als IM für die Stasi tätig war,
ob mein Hochschulabschluss anerkannt oder aberkannt wird, ob ich einst Chef oder Hilfsarbeiter gewesen bin. Allein die Frage, ob und wie ich mich in der neuen Tätigkeit bewähren konnte, wie ich die an mich gestellten Aufgaben erfülle, war entscheidend. Und es erfreute mich, dass
mir mein neuer Arbeitgeber Vertrauen entgegengebracht hat, mir das neue Kollektiv unvoreingenommen gegenüberstand, so dass mir die ungewohnte Tätigkeit sogar Freude bereitete. Natürlich war es trotz alledem für mich mitunter nicht einfach, mich vom Leiter eines Post- und Fernmeldeamtes mit
mehr als 1.000 Beschäftigten zum Messhelfer entwickelt zu haben. Und auf die daraus resultierende psychische Belastung reagierte wohl auch mein Körper mit einem Hörsturz, der mir von diesem Zeitpunkt an eine beidseitige starke Schwerhörigkeit bescherte und fortan das Tragen von Hörgeräten
dauerhaft erforderte. Aber dennoch galt es, auch in der neuen Tätigkeit gute Arbeit zu leisten und das Bestmögliche aus der entstandenen Situation zu machen.
Ich freute mich darüber, dass es mir gelang, dass in mich gesetzte Vertauen zu erfüllen. Bereis ab Sommer 1993 wurde ich mit der Funktion eines Gruppenleiters für die in Merkers, später auch in Roßleben tätigen Messtrupps betraut und bereits Ende 1994 stand die Frage, ob ich gewillt bin, die Tätigkeit als
Geschäftsführer der als Nachfolge der TECOMPLAN GmbH neu gegründeten S.I.G Ingenieurgesellschaft zu übernehmen. Diese Enwicklung gab mir Kraft, Selbstvertrauen und Selbstachtung zurück. Aber auch meinen Saarbrücker Arbeitgeber, in Person der Herren Schroll sen. und Schroll jun.
gehört allergrößter Dank. Sie haben mir vorurteilsfrei Vertrauen entgegen gebracht, haben Verständnis für die Entwicklungen (und Fehlentwicklungen) der ehemaligen DDR gezeigt, haben aber auch die zu Hauf erkennbaren negativen Erscheinungen und das Wüten der Treuhand in der Wendezeit kritisch
betrachtet. Sie haben die ostdeutschen Arbeitnehmer gleichberechtigt zu den westdeutschen Arbeitnehmern behandelt, haben Einfluß auf wechselseitiges Verstehen und wechselseitige Achtung genommen. Ein Verhalten und praktisches Handeln, was in jenen Zeiten durchaus nicht selbstverständlich war.
Meine Tätigkeit als Messhelfer hatte in den Jahren 1992/93 mit der Einmessung neu verlegter Kabeltrassen im Bereich Südthüringens mit Baubüro in Merkers begonnen. Zur gleichen Zeit waren weitere Messtrupps in Roßleben und Crimitschau stationiert, die Einmessarbeiten in den Bereichen Nordthüringen und
Ostthüringen ausübten. Und außerdem wirkte eine größere, mit Einmess- und Dokumentationsaufgaben betraute Arbeitsgruppe in Berlin. Unter dem Eindruck des Baubooms war es sinnvoll, die Arbeit der dezentral wirkenden Messteams und die zentrale Ausführung der Dokumentationsarbeiten in Saarbrücken
und Berlin (mit entsprechend umfangreichen Personen- und Materialtransfers) zu überdenken und zentral von einer Stelle vor Ort zu führen. Aus diesem Grund wurden zunächst die Büros Merkers und Roßleben in einer neuen Zweigstelle in Mellingen (bei Weimar) zusammengeführt, später entstand an gleicher Stelle
die S.I.G. Ingenieurgesellschaft als Nachfolge der TECOMPLAN GmbH.
Mit dem Fortschreiten des Netzausbaus und dem damit verbundenen, immer stärkerem Drängen neuer Firmen in ein zunächst noch lukratives Geschäft dauerte es nur etwa 3-4 Jahre, in denen Aufträge für Einmessarbeiten und Netzdokumentationsarbeiten zu annehmbaren Bedingungen zu bekommen waren.
Danach kam es schnell zu einem Überbietungswettbewerb an billigen Angeboten bei der Vergabe neuer Aufträge, Lohndumping breitete sich aus und fairer Wettbewerb zwischen den ausführenden Firmen war kaum noch möglich. Zusätzlich wurde immer deutlicher sichtbar, dass der Netzausbau mit riesigen
Schritten voranging und sich die Auftragslage objektiv verschlechtern musste. Für ein nur auf Einmessarbeiten beschränktes und territorial nur in Thüringen und Brandenburg (Berlin) arbeitendes Unternehmen musste diese Entwicklung zwangsläufig zu einem AUS in absehbarer Zeit führen.
Im Saarbrücker Hauptsitz der Firma beschäftigte man sich im Gegensatz zu den im Osten ausgeführten Arbeiten mit traditionellen Aufgaben der Hoch- und Tiefbauprojektierung incl. Bauaufsicht. Die in der Saarbrücker Stammfirma ausgeübte Tätigkeit bechränkte sich im wesentlichen auf das Saarland und konnte trotz
entsprechender Bemühungen nicht erfolgreich auf die neuen Bundesländer ausgedehnt werden. Hauptsächlich auf Initiative des Juniorchefs hatte man in Saarbrücken den Aufgabenbereich der Luftbildvermessung zusätzlich zu den bestehenden Aufgaben aufgebaut und mit hohem materiellen Aufwand auch das technische Equipment
geschaffen. Hochqualifizierte und motivierte Fachkräfte für photogrammetrische Auswertungen wurden gefunden, Bildflüge wurden mit Hilfe eines in die Firma integrierten und bei Frankfurt angesiedelten Flugbetriebes eigenständig wahrgenommen. Es war naheliegend, dieses Potential möglichst auch für
photogrammetrische Aufgaben in den neuen Bundesländern zu nutzen. Aus diesem Grund wurden parallel zu den Vermessungsaufträgen der Telekom zunehmend auch Luftbild-Vermessungsaufträge (hauptsächlich von den Landesvermesdungsämtern) aquiriert. Sie wurden vor Ort im Mellingen realisiert
wo 2 entsprechend ausgestattete Arbeitsplätze eingerichtet wurden. Mit dem auf diese Weise geschaffenben 2. Standbein - so die Vorstellung - sollte die im Osten wirkende S.I.G. Ingenieurgesellschaft den Rückgang der Aufträge im Bereich der Telekommunikation ausgleichen können.
Mit den veränderten Aufgabenstellungen hatten sich auch meine konkreten Arbeitsinhalte geändert. Neben der operativen Arbeitsplanung und der Personalführung (maximal etwa 20 Beschäftigte) bestand der Schwerpunkt zunehmend in der Aquirierung neuer Aufträge, was von Jahr zu Jahr immer schwieriger wurde.
Die sinnvoll möglichen Aufträge für Einmessarbeiten der Telekom gingen dem Ende entgegen, auch für Aufträge im Bereich der Luftbildauswertung gab es einen starken Verdrängungswettbewerb und der wirtschaftliche Betrieb der S.I.G. mit Sitz in Mellingen wurde zunehmend komplizierter.
Weil erkennbar wurde, dass unter Berücksichtigung der aquirierbaren Aufträge die qualifizierte Bewältigung photogrammetrischer Aufgaben an 2 Standorten (Saarbrücken und Weimar) unwirtschaftlich war, wurden photogrammetrische Aufgaben nur noch am Standort Saarbrücken ausgeführt.
Die damit einhergehende Verkleinerung der Niederlassung in Mellingen und ihre Verlagerung nach Tröbsdorf (bei Weimar) brachten nicht die erhofften wirtschaftlichen Verbesserungen und die Einstellung der Arbeit der S.I.G. Ingenieurgesellschaft am Standort Weimar entwickelte sich zu einer Frage der Zeit.
Folgerichtig und emotionslos war die Einstellung des Betriebes zum Ende des Jahres 1998 wirtschaftlich richtig und notwendig. Ich war 1998 56 Jahre alt geworden und unter Berücksichtigung des Saarbrücker Firmenprofils dort eigentlich nicht zu gebrauchen. Zwar bot man mir (wohl eher aus Mitleid und unter
Berücksichtigung meines Einsatzes in "guten Zeiten") eine nicht näher beschriebene und damit wohl auf "Kalfaktorfunktionen" beschränkte Arbeit unter der Maßgabe der Umsiedlung von Weimar nach Saarbrücken an, dies wollte ich aber weder meiner Familie, noch mir selber antun. Um meinen Saarbrücker Chef,
der mich einerseits gerne los werden wollte, andererseits aber kein Vertreter einer rücksichtssichtslosen Personalführung war, die notwendige Entscheidung abzunehmen, habe ich mein Arbeitsverhältnis bei der S.I.G. im Herbst 1998 von mir ausgehend einvernehmlich beendet.
Zusammenfassend bleibt die Einschätzung, dass meine Beschäftigung in der Zeit von 1992 bis 1998 eine Periode umfasst, die einerseits alles vorher Dagewesene komplett auf den Kopf gestellt und verändert hat. Andererseits hat mir diese Zeit viel gegeben. Sie hat mir die Augen über die eigene Beschränktheit
meines Denkens und Handelns geöffnet und mir geholfen, mich auch im "2. Leben" einigermaßenn gut zurecht zu finden. Mit der Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses bin ich aus heutiger Sicht sehr leichtfertig umgegangen, da die Wahrscheinlichkeit, mit knapp 57 Jahren noch einmal eine Anstellung zu finden,
recht gering war. Auch wenn es damit noch einmal geklappt hat, gilt, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der S.I.G. bei etwas größerem wechselseitigem Nachdenken vermeidbar gewesen wäre. Mit Sicherheit hätte sich aus heutiger Sicht ein für beide Seiten vorteilhaftes und von Kalfaktortätigkeit
weit entferntes Beschäftigungsfeld für mich finden lassen. Bemühen hierzu fehlte aber auf beiden Seiten, denn ich wollte gefühlt nicht der aus Gnade gehaltene Saarbrücker Hilfsarbeiter sein, Herr Schroll war froh darüber, einem "Mohr, der seine Schuldigkeit getan und der Firma nicht schlecht gedient hatte" ,
für den er aber jetzt keine geeigneten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten mehr sah, schmerz- und abfindungsfrei loszuwerden.