Wendezeiten

Wie wir sie erlebten

Die wirtschaftlichen Probleme der DDR-Wirtschaft und die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten hatten in den achtziger Jahren für jeden erkennbar zugenommen. Die Frage, wie lange das noch gut gehen könne, wurde von vielen gestellt und die Prognose, dass das kapitalistische Wirtschaftsystem als Sieger über die marode DDR-Wirtschaft hervorgehen würde, zeichnete sich immer deutlicher ab. Die Zeichen bevorstehender politischer Veränderungen verstärkten sich 1989 mit der teilweisen Öffnung des Grenzzaunes an der ungarisch-österreichischen Grenze und insbesondere mit der von Gorbatschow verfolgten und auf die Sympathie der DDR-Bevölkerung stoßenden Politik der Perestroika und Klastnost in der Sowjetunion. Und als im Herbst 1989 die Montagsdemonstrationen immer umfassender und mächtiger wurden und sich in der westdeutschen Prager Botschaft immer mehr zur Ausreise entschlossener DDR-Bürger einfanden, wurde klar, es wird Konsequenzen für die künftige DDR-Politik haben müssen.

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Und dennoch hat wohl kaum ein Bürger der DDR in dieser Zeit daran gedacht, dass das Ende der DDR so schnell kommen, sich sein Leben in kurzer Zeit so nachhaltig verändern würde. Und dass alles, was gestern richtig schien, heute falsch sein sollte. Auch Heide und ich, unsere Kinder, unsere Kollegen und Freunde haben diese Wende im Herbst 1989 so nicht erwartet. Mit zunehmendem Interesse haben wir in Rundfunk, Fernsehen und Presse verfolgt, wie sich die politische Lage von Tag zu Tag veränderte. Zunehmend mit Bangen und Sorgen, dass diese Entwicklung in Gewalt umschlägt und bewaffnete Auseinadersetzungen folgen würden. Und staunend, als sich am Tag der Maueröffnung diese Gewaltbefürchtungen als unbegründet erwiesen und emotionalen Gefühlen der Freude und der Hoffnung wichen. Wohl kaum einer erfreute sich in diesen Tagen nicht an der Öffnung der Mauer, kaum einer dürfte emotional unberührt die Entwicklung verfolgt haben. Und das traf wohl auf alle zu, egal, ob sie aktiv die Wende bewirkten oder passiv abseits standen. Egal, ob sie Verbesserungen in Politik und Wirtschaft der DDR, die schnellstmögliche Angliederung der DDR an die BRD oder die Vereinigung beider deutscher Staaten in einem neuen Gesamtdeutschland erwarteten. Übergreifend bestimmten Aufbruchstimmung und Hoffnung die Gefühle der Menschen und auch Stolz machte sich bei vielen breit, diese Wende gewaltlos herbeigeführt oder gewaltlos geschehen lassen zu haben.

Heide und ich erlebten die kommenden Veränderungen in erster Linie zunächst in unserem Beschäftigungsbetrieb, dem Post-und Fernmeldeamt Weimar. Wir hatten die Ereignisse um die wirkliche Bedeutung der Mauereröffnung noch gar nicht richtig erfasst und es dauerte ein paar Tage, bis wir dieses Ereignis gedanklich verarbeitet haben. So erinnert sich Heide daran, dass sie ein Arbeitskollege danach fragte, ob sie nicht einmal seine Dienstschicht übernehmen könne. Er wolle schnell mal für 2 Tage nach Paris fahren. Heide stimmte zu und erhielt wenige Tage später eine Ansichtskarte aus Paris. Das sich dieses banale Ereignis so tief im Gedächtnis eingeprägt hat, ist Ausdruck unseres damaligen Eindrucks: Es ist einfach nicht zu fassen.
Und im Betrieb selbst dominierte eine gespannt abwartende Haltung auf das, was nun wohl kommen würde. Mehrheitlich hoffte man auf vernünftige Lösungen, verfolgte die politische Entwicklung, wollte Veränderungen von Dingen, die einem in der DDR seit Jahren oder Jahrzehnten gestört hatten. Und dies beschränkte sich keinesfalls auf die so lang vermisste Reisefreiheit. Aber auch Ängste bestimmten die Gedanken. Wie wird es mit der Arbeit weitergehen, wie wird sich unsere Zukunft entwickeln ?

Und in unserer Familie stellten sich diese Fragen noch dringender. Die früher scherzhaft der "Postdynastie Zeh" zugeordneten Familienmitglieder waren in verschiedenen Ämtern und Einrichtungen der Deutschen Post in Erfurt und Weimar tätig. Peters Bruder Wolfgang, unser Schwager Dieter, Peter selbst rechneten sich zu den sogenannten "Führungskräften" der Deutschen Post im Bezirk Erfurt. Sie waren langjährige Mitglieder der SED, hatten in Ausübung ihrer dienstlichen Verpflichtungen allesamt der DDR "treu gedient", haben mit den Sicherheitsorganen der DDR und damit auch mit dem MfS zusammen gearbeitet.. Und Peter hatte sogar eine Erklärung unterschrieben und darin die Verpflichtung abgegeben, zu angeforderten Sachverhalten wahrheitsgetreue Berichterstattungen zu leisten. Das ihn diese Verpflichtungserklärung zum Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) des MfS gemacht hat und welche Konsequenzen dass für ihn haben könnte, wurde ihm erst im Sommer 1990 langsam aber sicher bewusst.

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Nach der Maueröffnung und den Veränderungen in der politischen Führung der DDR wurde im I.Halbjahr 1990 erkennbar, dass die Beschäftigten in den Betrieben und Einrichtungen nicht mehr bereit waren, bestimmte Vorgesetzte, die sich aus ihrer Sicht als "Bonzen" des SED-Regimes dargestellt hatten, denen teilweise Amtsmißbrauch oder sogar strafbare Handlungen nachgesagt wurden, als künftige Vorgesetzte anzuerkennen: Dieser Entwicklung trug man auch bei der Post Rechnung. Mit der Anweisung Nr. 35/90 vom 23.05.1990 verfügte das Ministerium für Post-und Fernmeldewesen der DDR die Durchführung von Rechenschaftslegungen leitender Mitarbeiter und Befragungen der Mitarbeiter zur Feststellung des Vertrauensverhältnisses zu ihren Vorgesetzten. Auf dieser Grundlage stellte sich auch Peter in seiner Eigenschaft als Leiter des Post-und Fernmeldeamtes Weimar in einer Beschäftigtenversammlung am 06.06.1990 einer solchen Rechenschaftslegung. Die Befragung der Beschäftigten nach ihrem Vertrauensverhältnis zu ihren vorgesetzten Dienststellen- undl Abteilungsleitern brachten in der Mehrzahl Zustimmungswerte gößer 60%, nur sehr wenigen ehemaligen Abteilungsleitern wurde das Vertrauen der Beschäftigten entzogen. Peter selbst bekundeten ca. 78% der Befragten ihr Vetrauen.
Auf der Grundlage dieser Vertrauensbekundung wurde Peter bestätigt die innegehabte Funktion vom Zeitpunkt seiner Amtsübernahme (1980) an pflicht- und verantwortungsbewusst ausgeführt zu haben. Zugleich erhielt er mit Schreiben vom 13.09.1990 die arbeitsvertragliche Bestätigung, seine Tätigkeit als Leiter des Post- und Fernmeldeamtes Weimar fortsetzen zu können.

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Im Laufe des Jahres 1990 wurde auch erkennbar, dass die gesellschaftliche Entwicklung auf eine relativ schnelle Wiedervereinigung beider deutscher Staaten hinauslief. Der noch Anfang 1990 von der Mehrheit der in der DDR lebenden Menschen vertretene Wille, wonach die DDR (zumindest für eine bestimmte Zeit) als souveräner Staat fortbestehen solle, wich im Laufe des Jahres schnell dem Drängen nach Schaffung eines vereinten Deutschlands. Im Bereich des Post- und Fernmeldeamtes Weimar wurden bereits Mitte 1990 intensive Bemühungen unternommen, um die bereits zu Zeiten vor der Wende bestehende Städtepartnerschaft Weimar - Trier auch auf die Ebene der Betriebe auszudehnen, entsprechende wechselseitige Arbeitsbesuche fanden bereits 1990 statt. Und für die Beschäftigten des Fernmeldewesens wurde erkennbar, dass die Entwicklung der katastrophalen Telefonversorgung (Ost) auf das Niveau der Telefon- Versorgungsverhältnisse (West) eine so umfangreiche Aufgabe sein wird, dass kein Beschäftigter Angst um seinen Arbeitsplatz haben müsste.

Aber im 1.Halbjahr 1990 waren im Zusammenhang mit den Besetzungen der Stasi-Zentralen in Berlin, Erfurt und anderswo viele Dinge auch öffentlich erkennbar geworden, die die Empörung und den Zorn auf die Tätigkeit des MfS und deren Mitarbeiter nährten. Und wenngleich auch in den Jahren davor viele Menschen eigene Erfahrungen dahingehend gesammelt hatten, dass das in der DDR-Verfassung zugesagte Post- und Fernmeldegeheimnis gröblichst verletzt wurde, wurde diese Tatsache nun in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Und es wurde offensichtlich, dass die im großen Umfang durchgeführten Inhaltskontrollen von Paketen und Briefen, ebenso wie das massenhafte Abhören von Telefongesprächen ohne Duldung und teilweiser Mitwirkungshandlung seitens der Deutschen Post unmöglich gewesen wäre. In der Folge sahen sich viele Beschäftigte der Post öffentlichen Vorwürfen, nicht selten auch persönlichen Anfeindungen ausgesetzt, weil ihr bisher pflichtgemäßes Handeln direkt oder indirekt den Zielen der Stasi gedient hatte und nun plötzlich kriminalisiert wurde.

Die aus den Überwachungsaufgaben der Stasi resultierende "besonderen Form" des Zusammenwirkens mit der Deutscher Post fand ihren NIederschlag auch in einer vergleichsweise großen Dichte an Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) in den Reihen der Post, insbesondere des Fernmeldewesens. Entsprechend hoch war die Zahl derer, die wegen ihrer Zusammenarbeit mit dem MfS nun mit ihrer Entfernung aus dem (noch) öffentlichen Dienst rechnen mussten. Und nicht wenige, die mit der Übernahme einer neuen Aufgabe eine Verpflichtung zur "vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen" unterschrieben hatten und dies im Sinne einer vermeintlichen Dienstpflicht taten, sahen sich nun als IM des MfS der öffentlichen Kritik ausgesetzt. Auch Peter hatte im Zusammenhang mit der Übernahme der Funktion als Stellvertretender Leiter eines Post-und Fernmeldeamtes eine solche Erklärung unterschrieben, hatte auf entsprechende Anforderungen viele Jahre wahrheitsgemäß berichtet, ohne sich deshalb als Spitzel zu fühlen, der er nun plötzlich war.

Es wäre falsch, heute die in ihrer Gesamtheit im hohen Maße auf menschenverachtende Ziele gerichtete Tätigkeit des MfS in irgendeiner Form zu bagatelisieren oder gar zu rechtfertigen. Es wäre falsch, die schlimmen Auswirkungen des Handelns vieler IM's auf menschliche Schicksale und Entwicklungen nicht aufzuarbeiten, den Opfern solchen Handelns die Aufklärung zu versagen oder notwendige Entschuldigungen und Ansprüche nicht zu gewähren. Und es war und ist den Opfern zuliebe richtig und auch notwendig, personelle Konsequenzen gegenüber denjenigen zu ziehen, die wider besseren Wissens gesetzwidrige Anweisungen erteilt oder aus niederen Beweggründen anderen Menschen geschadet haben.
Aber es wäre trotz allem wünschenswert, wenn diese Aufarbeitung nicht nach dem Schwarz-Weiß-Prinzip, sondern im Ergebnis von Einzelfallprüfungen erfolgt wäre. Durch die Schwarz-Weiß-Betrachtung (IM=Täter, Nicht-IM=Opfer) wurden zum einen auch Menschen, die wirklich nur ihre Pflicht taten und mit ihrer konkreten Arbeit niemanden schaden wollten oder geschadet haben, ins gesellschatliche Abseits gestellt.
Viel schlimmer ist aber, dass wirkliche Täter, die nach der Wende mit dem Finger auf die Stasi gezeigt und nach dem Motto "Haltet den Dieb" gehandelt haben, viel zu oft wirkungsvoll von sich ablenken konnten. Und es ist schon verwunderlich, dass hochrangige Parteifunktionäre aller Ebenen, die sich einst (und zum Teil öffentlich) gerühmt hatten, mit der Stasi "ein wirkungsvolles Schwert" in den Händen zu halten und dieses auch zu gebrauchen, ihrer eigenen Verantwortung entziehen konnten. Vergessen scheint heute, dass in vielen Fällen SED-Funktionäre die Auftraggeber für konkrete Stasiaktivitäten waren, vergessen scheint auch, dass nicht wenige IM's dehalb IM geworden sind, weil es die Partei von ihnen erwartete bzw. die Parteidisziplin es so forderte.
Und schließlich gab es natürlich unter dem Vorwand der Stasi-Aufarbeitung wie überall im Leben auch jene, die man gemeinhin als "Trittbrettfahrer" bezeichnet. Jene, denen zu DDR-Zeiten alle Bildungswege offen standen, die ohne Druck überzeugte Mitglieder der SED geworden waren, sich in zahlreiche gesellschaftliche Funktionen regelrecht gedrängelt haben und denen es trotzdem nicht gelungen war, die von ihnen selbst gesteckten persönlichen Ziele zu erreichen. Sie konnten nun wie fast alle anderen Menschen auch feststellen, dass auch über sie eine Stasi-Akte existierte, konnten sich davon überzeugen, dass zahlreiche IM's mit Beiträgen zur Bereicherung dieser Akte beigetragen haben. Und wenngleich diese Stasi-Akte nur wenig oder nichts aussagende und oft genug an Lächerlichkeit grenzende Inhalte aufwies, so konnte man sich nun als Opfer darstellen, hatte endlich einen Grund gefunden, mit dem man das Nichterreichen persönlicher Ziele als Werk der Stasi und nicht als das Ergebnis eigenen Unvermögens darstellen konnte. Unter diesem Aspekt tat es weh, in der Nachwendezeit Menschen zu erleben, mit denen man jahrzehntelang gut zusammengearbeitet hat, von denen man glaubte sie zu kennen. Und die es nun fertigbrachten, selbst 30 Jahre (!) nach der Wende Hasskommentare zu verfassen, deren Widergabe an dieser Stelle der Anstand verbietet.

Sei es, wie es sei. Man könnte viele Fragen im Zusammenhang mit den Wendeereignissen und mit der Entwicklung danach stellen, könnte Streitgespräche führen und Bücher schreiben. Im Rahmen einer Familien-Homepage kan (und sollte) man das nicht tun. Für die ehemaligen Angehörigen der Deutschen Post (und dass schließt alle Familienangehörigen der ehemaligen "Postdynastie Zeh" ein) brachte die Wende im Prinzip positive Veränderungen. Während vielen anderen Betrieben schon bald die Abwicklung und den darin Beschäftigten die Arbeitslosigkeit drohte, hatten die bei der Post Beschäftigten solche Sorgen in aller Regel nicht Die Unterstützung der westdeutschen Post und der Telekom war nachhaltig und wirksam, die Zusammenarbeit zwischen Ossis und Wessis relativ vernünftig und die bevorstehenden Aufgaben anspruchsvoll und umfangreich. Und für uns stellte sich die weitere Entwicklung zunächst so dar, dass sich mit der Veränderung des Arbeitgebers (aus Deutscher Post wurde Deutsche Telkom) für Heide keine wesentlichen Veränderunge der Arbeitsinhalte ergaben. Peter hatte in der Beschäftigtenbefragung einen deutlichen Vertrauensbeweis in seine Tätigkeit als Leiter des PFA Weimar erfahren, hatte seine Sicht auf die Zusammenarbeit mit der Stasi dargestellt und seine IM-Tätigkeit nicht geleugnet Er konnte darauf hoffen, dass seine Zusammenarbeit mit dem MfS einzelfallbezogenen geprüft und danach über einen Verbleib bei der Telekom entschieden wird. Und die Anerkennung des Hochschulabschlusses und die Teilnahme an ersten Weiterbildungsmaßnahmen für Führungskräfte im neuen Unternehmen waren beeindruckend und trugen zur Verbesserung des Selbstwertgefühls bei. Die Abkehr von der Prüfung des Einzelfalls hin zur Entscheidung "IM-Tätigkeit bedeudet Entlassung " war zu jener Zeit noch nicht erkennbar und so freute sich Peter auf die veränderten Bedingungen und umfangreichen Aufgaben als Mitarbeiter der Deutschen Telekom.
 

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Mit der Entscheidung zur Wiedervereinigung entstanden im Gegensatz zu vielen Betrieben und Einrichtungen auf dem Gebiet der DDR bei den Beschäftigten im Post- und Fernmeldewesen kaum Ängste. Vielmehr erwartete man gemeinsame Bemühungen zur schnellen Angleichung der Versorgungsverhältnisse und freute sich mehrheitlich auf die bevorstehenden großen Aufgaben. Und die schon kurze Zeit später anlaufenden umfangreichen Unterstützungmaßnahmen durch westdeutsche Beamte und Angestellte ließen erkennen, dass diese Hoffnungen auch begründet waren. Zugleich war aber auch erkennbar, dass die Strukturen, aber auch arbeitsrechtliche Grundsätze der ehemaligen Deutschen Post innerhalb kürzester Zeit nicht mehr galten und die Strukturen der BRD kompromißlos zu übernehmen waren. Beispiele dafür sind unter anderem die Ausgliederung solcher Bereiche, wie Zeitungszustellung oder eigene Kfz-Werkstattbetriebe, die nicht mehr als Aufgabe der Post gesehen wurden. Auch die in der DDR bestehenden vereinheitlichten Post- und Fernmeldeämter wurden sehr schnell in getrennte Organisationseinheiten überführt, die entweder dem Fernmeldewesen, oder aber den Postwesen zuzuordnen waren. Und auch viele ältere Beschäftigte erfuhren, dass manches nicht mehr galt, was früher selbstverständlich erschien. So freuten sich die meisten Rentner mit Renteintritt unter DDR-Bedingungen darauf, nun für einige Jahre weiter arbeiten zu können und mit Arbeitslohn plus Renteneinkunft ein wenig Altersersparnisse für den Rest des Lebens aufzubauen. Unter den veränderten Bedingungen war das schlagartig nicht mehr möglich. Wer Rentner war oder wurde, hatte zum Zeitpunkt des Renteneintritts das Feld zu räumen und konnte nicht auf eine Weiterbeschäftigung bei der Post hoffen.

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Bedingt durch Peters Stasibelastung war abzusehen, dass er für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst künftig nicht mehr in Frage kommen würde und seine Entlassung seitens des Arbeitgebers Deutsche Telekom deshalb nur eine Frage der Zeit sein konnte. Mit dieser Erkenntnis war es Anfang 1992 höchste Zeit geworden, selbst aktiv zu werden und sich um eine andere Tätigkeit zu bemühen. Heute ärgert sich Peter über seine Blauäugigkeit in den Jahren 1990 bis 1992, in denen er immer gehofft hatte, dass man nicht nach dem Motto IM = Rausschmiss, sondern im Ergebnis von Einzelfallprüfungen handeln würde. Zahlreiche Angebote zur Aufnahme von Tätigkeiten im Bereich der Versicherungswirtschaft und der Krankenkassen hatte er seit der Wende erhalten und abgelehnt, immer im Glauben, die Telekom werde ihn schon behalten. Nun aber stand er da und suchte nach Möglichkeiten, der bevorstehenden Entlassung mit der eigenen Kündigung bei der Telekom zuvorzukommen und möglicst nahtlos eine Beschäftigung außerhalb der Deutschen Telekom zu finden.

Und im Frühjahr 1992 war es dann so weit. Sein neuer Arbeitgeber Telekom erwartete das offizielle Ergebnis der an die Gauckbehörde gerichteten Anfrage und es war klar, dass er danach nicht mehr in verantwortungsvoller Position im Öffentlichen Dienst (und folglich auch nicht im Unternehmen Deutsche Telekom) zu halten war. Dennoch war positiv zu bemerken, dass seitens der westdeutschen Führungskräfte, die zu jener Zeit bei der Telekom Erfurt wirkten, wenig Verständnis für die "Schwarz-Weiß-Sortierung" aufgebracht wurde und auch andere Entscheidungen der letzten Monate (wie zum Beispiel die vom Ministerium angewiesene Prüfung der Vertrauensfrage zu ehemaligen Führungskräften der Deutschen Post) teilweise für Kopfschütteln sorgte. Heute stellt Peter dankbar fest, dass die einvernehmlich herbeigeführte und im beiderseitigen Interesse stehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses in vertrauensvoller Absprache und ohne jegliche Häme erfolgte. Sie unterschied sich damit äußerst positiv von Verhaltensweisen und Erlebnissen, die man nun mit manch anderen früheren Kollegen hatte und die nicht selten von sehr viel Unkenntnis, oft von Unterstellungen und Verleumdungen und manchmal auch von blankem Hass geprägt waren.

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Vergleichsweise unspektakulär verliefen die Wendezeit und die Jahre danach für Heide. Der Wählersaal und die veraltete Technik waren ein Auslaufmodell in der Fernsprechvermittlungstechnik. In dem Maß, wie sich die moderneTelefonversorgungstechnik nach der Wende entwickelte, wurde die alte Wählertechnik Schritt für Schritt überfällig. Das Ende dieser Technik vor Augen, erklärte sich Heide auf Befragen bereit, so lange wie nötig im Wählersaal weiter zu arbeiten und nach dessen Abschaltung die angebotene Vorruhestandsregelung in Anspruch zu nehmen. So verliefen die Jahre nach der Wende für sie völlig unverändert gegenüber der Zeit vor der Wende. Sie erledigte die Prüf- und Kontrollaufgaben, sorgte für die Beseitigung technischer Fehler und erledigte die erforderlichen Wartungsarbeiten wie eh und je. Hinter der Stahltür zum Wählersaal war die Zeit praktisch stehen geblieben. Und die Worte der Aufbauhelfer aus dem Westen, die bei uns erstaunt festgestellte Kollegialität in der Arbeitswelt zu erhalten, konnten zumindest noch für einige Jahre und durch eine Stahltür geschützt beachtet werden. 1997 war es dann aber auch hier soweit. Die alte Vermittlungsstelle, die jahrzehntelang unsere Arbeitswelt bestimmte, wurde für immer abgeschaltet. Wartungsaufwändige Wähler und Relais gehörten von nun an der Vergangenheit an. Die Elektronik hatte Einzug gehalten und die Telefonversorgung innerhalb weniger Jahre vom absoluten Mangel zur unwirtschaftlichen Überversorgung verändert. Heide durfte tatsächlich den Hauptschalter im Wählersaal umdrehen und die danach eingetretene Ruhe in dem einst so lauten Raum genießen. Und der ehemals so anspruchsvolle Technikberuf "Fernmeldemechaniker" war über Nacht für alle, die ihn erlernt hatten, bedeutungslos.